Die Reggio-Pädagogik stellt nach der Reformpädagogik die wohl einschneidendste Entwicklung in Sachen Erziehung im 20. Jahrhundert dar. Benannt ist dieses Konzept, das man wohl eher als eine Art Philosophie oder Lebenseinstellung bezeichnen sollte, in der norditalienischen Stadt Reggio Emilia. Dort begann man nach dem Zweiten Weltkrieg, Kinder in Kindergärten und Tageseinrichtungen nicht so sehr in ihren Schwächen begradigen zu wollen, sondern sie in ihren Stärken zu unterstützen.
Was bedeutet Reggio-Pädagogik? Was steckt dahinter?
Der Begründer der Reggio-Pädagogik, Professor Loris Malaguzzi (ein Pädagoge und Psychologe), machte klar, dass ein Kind nicht aus einem in sich ruhenden und homogenen Individuum besteht, das sich klar und deutlich in einer einzigen Sprache ausdrückt, sondern dass jedes Kind für sich ein kleines Universum ist.
Das Kind erlebt den Alltag zu Hause, den Kontakt mit Eltern, Großeltern, Geschwistern, Tanten, Onkeln, Nachbarn, Freunden und Bekannten. Alle diese Menschen sind Individuen und haben ihre ganz eigene Lebensgeschichte und -einstellung, die sie im Kontakt mit dem Kind einbringen.
Kinder erleben die Welt der Erwachsenen, ihr Umfeld, also nicht als homogenen Kosmos, sondern als heterogene Zonen, die alle irgendwie anders sind und alle irgendwie separat mit dem Kind in Kontakt treten. Völlig klar war für Professor Malaguzzi, dass das Kind sich entsprechend heterogen verhält und ausdrückt. Sprache ist nur eine Form des Ausdrucks.
Malen, Basteln, theatralischer Ausdruck, Verkleidungen, Mimiken, Gesang und Tanz gehören ebenfalls dazu. Alle diese Kommunikationsebenen kommen in jedem einzelnen Kind zusammen, werden in individuellen Ausdruck übersetzt und weitergegeben – in der KiTa interagieren die Kinder also nicht nur durch Worte, sondern in Gestik, Mimik, Malerei, Gesang, Spiel, Bewegung. Sie beeinflussen sich gegenseitig, werden aber auch vom Raum beeinflusst.
Der Raum wird in der Reggio-Pädagogik als „dritter Erzieher“ (neben Elternhaus und Fachpersonal) bezeichnet.
Was hat es mit dem Raum auf sich?
Tatsächlich ist das Verhalten eines Kindes vom Raum abhängig: Nur dann, wenn der umgebende Raum die Gelegenheit zu gemeinsamem Verkleiden bietet (durch eine Kleiderkiste, Spiegel, Tücher, eine Art Vorführraum oder Bühne), können Kinder den Ausdruck durch Theater überhaupt praktizieren.
Raum ist also sowohl als tatsächlicher dreidimensionaler Raum zu verstehen, als auch als Material, das in diesem Raum zur Verfügung steht. Und jetzt wird es ganz konkret: In der Reggio-Pädagogik braucht es kein vorgefertigtes Spielzeug, sondern Material:
- Papier, Pappe, Scheren
- Klebstoff, Seilchen und Bänder
- Stifte, nasse Farben, Pinsel, Schwämme, Stempel
- Stoff und Holzstücke, Schrauben, Nägelchen, Kork und Steinchen
- Tücher und Kleidungsstücke
- Raum zum Singen, Ohren, die es hören
- Raum zum Verkleiden und Mitspieler/-innen
- Raum zu Ausstellungen, Vorführungen
- Interaktion von Eltern, Erziehern/-innen, Geschwistern, Großeltern und allen anderen, denen das Kind regelmäßig begegnet
Reggio Pädagogik: Die konkrete Umsetzung?
Ja, natürlich. In fast jedem Kindergarten in Deutschland gibt es Bastelecken, Verkleidungsecken, Musikinstrumente, Lieder und Malsachen. Und in fast jeder Kinderbetreuungsstätte in Deutschland werden die Exponate den Eltern vorgestellt.
Konkret heißt das, dass Mal- und Bastelarbeiten der Kinder in den Räumen ausgestellt werden oder ein- bis zweimal jährlich im Rahmen eines Festes eine große Ausstellung stattfindet. Lieder werden vorgesungen (zu Feiern mit den Eltern, als Überraschung zu Muttertag und Vatertag et cetera), kurze Theaterstücke werden vorgeführt. Reggio-Pädagogik heißt eigentlich nur, dass sich die Erwachsenen auf die Erlebniswelt der Kinder einlassen, deren Ausdrucksmöglichkeiten beachten, schätzen und fördern. Das klingt so einfach – und das ist es eigentlich auch.